Rede von
Linda Reisch
zur Klappmaul-Abschieds-Gala am 27. Mai 2005

 

Eva Demski sagte mir vorgestern Abend nach der derniersten Derniere, ich sei mürrisch. Das war eine glatte Untertreibung. Ich bin rundherum sauer, daß Klappmaul das Maul zuklappt. Angeblich für immer. Aber darauf komme ich noch. Jedenfalls, als ich vor 10 Jahren zum 20. Geburtstag geredet habe, fand ich das um vieles erfreulicher. Da hatte z.B. die Stadt Cambreling noch nicht geschlossen, und es gab die wunderbare Zeit der Koproduktionen mit Klappmaul: Wozzeck, Karneval der Tiere, Genevieve de Brabant. Tja, tempi passati.

Ihr habt vor über zwei Jahren einen einsamen Beschluß gefasst und uns vor vollendete Tatsachen gestellt. Damit seid Ihr zwar stilbildend bis hin zum Kanzler geworden – ohne Not gehen, heißt das Prinzip -, aber der will dann wenigstens noch mal die Leute in Wahlen befragen. Euch hingegen ist auch die Abstimmung mit den Füßen egal. Anti-demokratisch stellt Ihr Euch gegen Euer Publikum und schließt.

Dabei gäbe es so viel anderes zu schließen. Das Viererbündnis im Römer z.B. – lieber heute als morgen. Das technische Rathaus schließen und sprengen – was würde man jubeln. Die 2. Liga – für immer zuschließen für die Eintracht. Das neue Logo vom Museum für angewandte Kunst – einfach wegschließen. Jedes zweite Verkehrsschild, Stadtmöbel, Bodendecker – wegschließen. 2/3 der Stände vom Flohmarkt: schließen.

Ich bin gebeten worden, mich mit dieser Liste zurückzuhalten. Aus Zeitgründen.  o.k.

Also ein anderer Punkt. Immer wieder habe ich im Zusammenhang mit der Schließung gehört, man müsse eben gehen, wenn es am schönsten sei. Diesen Spruch habe ich schon als Kind gehasst. Er hat so etwas Ur-Protestantisches, so eine ethische Süßholzraspelei, um Verzicht zu predigen. Außerdem ist der Spruch 1. in sich unlogisch und 2. verlogen. Man hört auf, wenn man weiß, dass es nicht mehr am schönsten ist. Für uns war Klappmaul jedes Mal am schönsten, und für Euch eben weniger. Das zumindest muß ich respektieren. Allerdings ungerne.

Weiter. Wenn nun die Ohren gespitzt wären nach Berlin – ich zumindest könnte das verstehen. Oder, um ein altes Thema aufzugreifen, nach Mailand; gut. Besser noch nach Rom – das hat der Papst nun schon erledigt. Oder nach Barcelona, nach Paris, nach Budapest, nach Stockholm. Nein, eine besondere Strafe für Frankfurt muß es sein: Belfast, Hansgeorg Mahler, Belfast ziehst Du uns vor. Halb so groß wie Frankfurt, bis vor einigen Jahren Hauptstadt dieser mittelalterlichen Religionskriege. Wir haben hier nur Heuschrecken. Auch so was. So lange die Grashüpfer hießen, waren sie doch in Ordnung, nicht?

In Belfast jedenfalls willst Du Kunst machen, Theaterkunst, Skulpturenkunst. Für die Kinder willst Du nichts mehr machen, das war Frankfurt. Zum Erwachsensein nach Belfast. Wahrscheinlich das Land der Lehnen. Das Land der Lehnen mit der Seele suchen. Kennst Du das Land, wo die  - na, ga, ga, gack.

Apropos Kinder. Ich hatte immer gedacht, man könnte aus Euren wilden Phantastereien – also dem, was Theater am schönsten macht – ein Spiel-Curriculum für Vorschule und die ersten Grundschuljahre entwerfen, Programmpunkt: Köpfe, Herzen, Sinne öffnen (nicht schließen …). Nichts wird daraus, nein, die Kinder sollen wieder vor den Fernseher geschoben werden – außer, Gordon Vajen, Du verdoppelst Dein Engagement an dieser Stelle.

Belfast und Hansgeorg Mahler hatten wir. Der Rest will „ans andere Ufer, ins Museum“. Mit aller Kraft habt Ihr die Sofatrilogie auf Zelluloid bannen lassen, von allen anderen Produktionen gibt es Videoaufnahmen. Eure Puppen, die verwegenen Bühnenkonstruktionen – all das soll ins Museum wandern, das Schriftliche ins Stadtarchiv. An diese Stelle gehören, meine Damen und Herren, einige kultursoziologische Betrachtungen über die Musealisierung der Gesellschaft. Angesichts des Ernstes der Lage lasse ich das.

Lieber schlage ich einen jährlichen Klappmaultag vor. Immer am 25. Mai gehen wir alle gemeinsam ins Museum, trauern, weinen und trösten uns, geben dem- oder derjenigen, der/die nach dem Klappmaulprinzip die leichteste Bespielbarkeit des Mundes gezeigt hat, den Sofaorden in Form eines kleinen, hässlichen, karierten Kissens – Bewerber können Sänger, Blech- und Holzbläser und Politiker sein. Dann schauen wir uns gemeinsam im Kommunalen Kino die Sofatrilogie an und tauschen anschließend Videos der anderen Produktionen. Es wird nichts kopiert, nichts verkauft, bis die Schwarzmarktpreise im In- und Ausland so hoch sind, dass wir aus den Erlösen ein eigenes Klappmaulmuseum mit angeschlossenem Kindergarten und Altenheim bauen können.

Dazu brauchen wir 17 Jahre. 2022 wird Hansgeorg 70 (viele von uns mehr oder weniger auch). Er hat versprochen, dass er dann wieder Kinderstücke machen will. Und Michael Kloss und Thomas Korte und Alexander Krein bleiben ja vielleicht hier und tummeln sich in klappmaulnahen Gefilden, in der Kinderwerkstatt, beim Stücke-Schreiben, und machen dann ja wieder mit – denn wir sind dann dort angekommen, wo uns Frank Schirrmacher schon hinprognostiziert hat: in der Methusalemgesellschaft. Die ist ohne Klappmaul nicht zu ertragen.

Also denkt daran, haltet Euch gut – erst danach können wir nach Rente gehen.

Ich habe gelernt, 17 Jahre heißt bei Euch: bis morgen.

Also: bis morgen!