Rede von
Eva Demski
zur Klappmaul-Abschieds-Gala am 27. Mai 2005

 

Klappmaul zu. Affe tot.

Wir, die wir hier sitzen, hatten alle unsere Chance, so oder so. Manch einer in diesem Auditorium wird sich jetzt schämen und die Tränen nach innen laufen lassen: Ich habe Hemden mögens heiß verpaßt, wird er oder sie sich sagen: Dadurch sind mir unvergleichliche Erkenntnisse verschlossen geblieben. Andere werden nie gesehen haben, wie ein Frosch fressen lernt –dennoch: Wir alle haben sie gehabt,  die Klappmäuler, keiner kann sie uns nehmen und vor allem das nicht, was sie uns in dreißig Jahren geduldig und unaufdringlich gelehrt haben, nämlich: Es gibt eine unsterbliche Seele.

Nein, das hat mit Theologie oder Religion nichts zu tun, bei denen geht’s um Glauben: Wir Klappmaul –Erleuchteten aber wissen es : Es gibt einen göttlichen Hauch, denn wir haben ihn ja gesehen, viele, viele Male! Er strömte in alte Socken, dieser göttliche Hauch, in räudige Federboas oder Filzläppchen. Die Unsterblichkeit sah uns plötzlich mit dem Blick reiner Güte und Liebenswürdigkeit aus Knöpfen oder Styroporkugeln an. Wir durften unmittelbar an der Belebung toter und armseliger Materie teilnehmen. Das kann uns keiner mehr nehmen, und wenn wir nach dreißig Jahren nicht begriffen haben, daß hier unablässig an der Rettung unserer Seelen gearbeitet wurde, ist uns sowieso nicht zu helfen.

Insofern könnten wir uns mit den vielen Wundern unserer klappmäuligen Erfahrungen zurücklehnen und den Rest unserer Tage damit verbringen, glücklich über sie zu philosophieren. Allein die Sofatrilogie bedürfte einer jahrzehntelangen Exegese, so viel Weisheit versteckt sich in ihr und wird erst zögernd zur Erkenntnis. Nein, das ist überhaupt nicht blasphemisch gemeint, denn der Geist weht, wie die Schrift sagt, wo er will. Und hier hat er wahrhaftig geweht.

Wie gesagt, wir sind klüger geworden mit steter klappmäuliger Hilfe, tiefsinnig wie Kissen und heiter wie Bettwürste. Und haben begreifen gelernt, daß ein beseelter Putzlumpen weit mehr Einsicht verbreiten kann als , sagen wir, eine Bundestagsdebatte. Der regelmäßige Schöpfungsakt des Puppentheaters hat seine Zuschauer gelehrt, daß man auf dem dünnen Seil zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit tanzen lernen muß, will man glücklich werden. Und daß nichts unbeseelt ist, wenn man genau hinsieht.

Natürlich hat die Liebe zur Seele der Gegenstände für sensible Naturen manchmal schwierige Folgen: Plötzlich ist man außerstande, eine henkellose Tasse wegzuschmeißen, weil sie einen aus melancholischen Augen anschaut. Ein zerschlissenes Handtuch verlang gebieterisch Zuwendung, ein alter Kragen weint bitterlich, als er in die Kleidersammlung soll. Mir scheint, alle wirklichen Klappmaulaficionados kennen dieses abgründige Erschrecken über die Vergänglichkeit, das einem aus ganz banalen Alltagsgegenständen entgegenstarrt.

Auch in dieser Beziehung sind klappmaulsozialisierte Menschen zeitgeistresistent: Die sogenannte Wegwerfgesellschaft wird ihnen ewig verschlossen bleiben und die manische Mülltrennung ist auch nicht in ihrem Sinn: Da würde nämlich die Blume an ihrem Dialog mit einem Sofakissen gehindert!

Wir sind in den Jahren mit ihnen von jeder, wirklich jeder Autoritätsgläubigkeit geheilt worden: Kein Hugo wird bei uns eine Chance haben, und schon gar kein Obertrottel, obwohl die gar nicht selten sind. Wir wissen, woraus sie letztendlich gemacht sind: Ein Fetzen Stoff, ein Haufen Plüsch drumrum, Blech und Fransen: Das ist alles.

Klappmaul macht demokratisch. Das ganze Nahallamaschie, Nahallamaschooooh, sei es in Berlin oder bei der Deutschen Bank, im Frankfurter Magistrat oder wo immer es uns entgegenschallt – wir werden nicht drauf reinfallen, unsere Ohren werden sich nicht taubdröhnen lassen!

Ja, das alles haben wir ihnen zu verdanken, sie verpflichten uns, auf unsere Socken zu hören und den Mond mit den Augen eines Eichhörnchens zu betrachten. Dreißig Jahre, das muß reichen. Wers, wie gesagt, jetzt nicht begriffen hat, begreifts später auch nicht. Das Sofa war unsere Reifeprüfung, wir müssen in den Labyrinthen unseres Lebenssofas jetzt allein klarkommen.

ABER: Jetzt kommt das ganz große Aber:  Was wird jetzt? Wer sorgt für die Erziehung kommender, die Größe im Kleinen vergnügt genießender Menschen? (Daß man lernen konnte, das Kleine in der vermeintlichen Größe zu erkennen, muß hier gar nicht erwähnt werden, es versteht sich von selbst! Daß  manche Große in Wirklichkeit nichts als Lappen und alte Socken sind, aufgepustet und schnell zusammenfallend, hat man in seinen klappmäuligen Erziehungsjahren begriffen.) Es geht nicht an, daß nachfolgende Generationen das nicht mehr erleben. Und es geht nicht an, mit vagen Aussichten auf andere Puppentheater, andere Stücke und andere Konzepte zur Tagesordnung überzugehen. Denn dieses Frankfurter Modell hat eine Methode gefunden, die Welt so zu erzählen, daß man sie anschließend besser ertragen konnte. Auch die Entwicklung des immer variantenreicher belebten Materials, die Unsterblichkeit der Paradekissen, Filzhühner und Lappen darf nicht einfach abgeschlossen und zu Vergangenheit erklärt werden. Daß man aus Klappmaul keine Akademie machen und sie zwischen Styroporsäulen festsetzen kann, ist mir klar. Daß unsere Freunde, jetzt nicht mehr Klappmaul, sondern eben Freunde sind, zu Einzelnen geworden, muß man annehmen. Wenn auch grollend. Aber das Wissen darum, wie man den Leuten die unsterbliche Seele der Dinge zeigt und damit ihre eigene, muß doch aufgehoben, nein, weiterentwickelt werden.

 Es gibt eine wunderbare Existenzform der Kunst, in Amerika üblicher als hier, aber auch in Europa da und dort zu finden, das sind die Sommerkurse. Ich könnte mir vorstellen, daß Sommerkurse für Puppenspieler, die sich von der Frankfurter Magie ein bißchen was abschauen wollen, wo die Lehrenden Einzelne bleiben und doch das gemeinsam geschaffene am Leben haltenund weiterentwickeln, eine tolle Möglichkeit wären.

Bevor jetzt der Chor einsetzt, der so schön und a capella KEIN GELD KEIN GELD singt: (Übrigens das besteinstudierte Lied des neuen Jahrtausends ) – wir sollten gemeinsam  überlegen, ob wir uns sowas denken können und ob wir das wollen. Erst erfinden, dann nach Geld graben und Banken überfallen! Das ist die richtige Reihenfolge, und das ist in letzter Zeit gelegentlich in Vergessenheit geraten. 

Ich glaube, hier sitzt niemand, der nicht auch möchte: Da muß etwas weitergehen und  nicht nur konserviert, sondern bearbeitet und geliebt werden.

Ich bin voll Zuversicht. Schließlich habe ich hier viele Male erlebt, wie der göttliche Hauch in Fetzen und Federn fuhr. Er wird uns nicht im Stich lassen.

Ich danke Ihnen.